Tourismus und Technologie in ständigem Bemühen um Gleichgewicht
Comportement Etourisme ExperienceClient DigitalAbkehr von Suchtverhalten und Suche nach digitalem Wohlbefinden
Sind wir bereits an die Grenzen des Einsatzes digitaler Lösungen im Reise- und Tourismusbereich gestossen? Aufgrund von neuen Trends, die wegen einer Studie von Skift vorliegen, könnte man auf jeden Fall diesen Schluss ziehen. Wenn Besucher durch eine fremde Stadt schlendern und den Blick nicht von ihrem Smartphone lassen können, sich nur auf ein Kunstwerk fixieren, um mit dem Handy ein Foto zu schiessen, oder vor einer atemberaubenden Landschaft lediglich für ein Selfie posieren, hat das zur Folge, dass ein Grossteil des touristischen Erlebnisses nur noch über das Smartphone erfolgt.
Seit einiger Zeit beginnt sich das Bewusstsein zu entwickeln, dass technologische Abhängigkeit nicht immer erstrebenswert ist und sogar gesundheitsschädlich sein kann. Als Zeichen eines Mentalitätswandels plädieren nun grosse Internetplayer dafür, eine Verkürzung der Bildschirmpräsenz anzustreben. Apple und Google haben bereits Lösungen entwickelt, um ihre Nutzer zur Selbstdisziplin zu ermuntern. Da unsere Gesellschaft durch die Technologie von wichtigen Grundwerten abgelenkt wird, wie beispielsweise von der greifbaren sozialen Verbindung, sind weitere grosse technologische Akteure dafür, die Digitalisierung auf die primären Interessen der Menschen neu auszurichten.
Innerhalb des "The Center for Humane Technology" sind führende Meinungsvertreter im Bereich der Technologie davon überzeugt, dass das, was früher als Wettbewerb um unsere Aufmerksamkeit begann, mittlerweile die Grundwerte unserer Gesellschaft untergräbt. Dabei sollen hier nur einige Beispiele aufgeführt werden: Psychische Gesundheit, Demokratie, soziale Beziehungen und Kindheit. Facebook, Twitter, Instagram und Google entwickeln auch Lösungen, die für die Menschen besser und geeigneter sind. Ausserdem entwickeln Instagram und Google auch Lösungen, die der Gesellschaft zugutekommen. Diese Unternehmen, die in einem äusserst wettbewerbsintensiven Umfeld tätig sind, müssen auf Techniken zurückgreifen, die es ermöglichen, die Verbraucher so lange wie möglich auf ihren Plattformen zu halten. Weil wir dank der künstlichen Intelligenz immer effizienter werden, kann die Verbesserung der Technologien, die unsere Aufmerksamkeit erregen sollen, zum Nachteil unseres Wohlbefindens werden. Die entwickelten Lösungen sind nicht mehr neutral, sie werden Teil eines Systems, das einfach nur nach unseren Suchtverhalten sucht.
Entwickelt sich die technologieorientierte Reisebranche gegen den allgemeinen Trend?
Angesichts der Bemühungen digitale Lösungen anzubieten, die sowohl das Leben des Reisenden erleichtern als auch sein Verhalten verfolgen sollen, könnte man meinen, dass der vorher erwähnte Trend noch keine Auswirkungen auf den Tourismussektor zeigt. Der aufmerksame Beobachter dieser Szene kann dennoch bereits ein gewisses Bewusstsein feststellen, das sich in der Suche nach authentischem Reisen und Integrität in Verbindung mit der besuchten Umgebung und nicht mit digitalen Lösungen ausdrückt.
Die Reise in einem solchen Bewusstsein ist Gegenstand eines Buches (Away & Aware) von Sara Clemence, in dem sie uns daran erinnert, dass eine der wichtigsten Tugenden des Reisens die Wiederverbindung mit sich selbst ist. Das Reisen gibt uns auch die Möglichkeit, uns gegenseitig besser kennenzulernen, besonders wenn wir nicht mehr von den Attributen unseres täglichen Lebens umgeben sind. Mit seinem Smartphone nimmt der Reisende jedoch seine Freunde, seine Arbeit und alle seine Gewohnheiten mit.
Einige Reiseveranstalter haben Aufenthalte eingeführt, die speziell auf die digitale Entgiftung ausgerichtet sind. Es scheint jedoch, dass die extremsten Vorschläge, die den Gebrauch von Smartphones völlig verbieten, ihr Publikum noch nicht gefunden haben. Allerdings nimmt die Popularität von Reiseangeboten in Regionen (z. B. Patagonien, Mongolei), in denen die Internetanbindung kompliziert ist, stark zu. Der Reisende wird daher während seiner touristischen Erfahrungen vom Internet getrennt und lediglich nach der Rückkehr in die Unterkunft wieder für einige Stunden verbunden.
Man sollte jedoch von der Reisebranche nicht erwarten, dass sie die Entwicklung technologischer Lösungen für ihre Kunden freiwillig einschränkt. Ein Paradigmenwechsel kann auch nicht dadurch erreicht werden, dass man sich den Praktiken des ultraverbundenen Reisenden und desjenigen, der sich für einen digitalen Entgiftungsaufenthalt entscheidet, widersetzt. Es erscheint daher sinnvoller, einen Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen anzustreben, um das Bewusstsein des Reisenden zu wecken, damit er im Lauf der Zeit in der Lage sein wird, die Vorteile der Technologie sinnvoll und optimal zu nutzen, ohne dabei das Wesentliche seines touristischen Aufenthalts zu vergessen.
Menschliche Dienstleistung als Fundament für einen Erfolg der gesamten Technologie
In einem von der "Direction Générale des Entreprises" herausgegebenen Trendbuch gab Ludovic Dublanchet, ein anerkannter Experte für E-Tourismus, Einblick in seine Vision der Entwicklung von Auswirkungen der digitalen Technologie auf den Tourismussektor.
Seit mehreren Jahren steht die Erfahrung im Mittelpunkt der Debatten und der touristischen Kommunikation. Es geht hier nicht mehr darum, genauer zu definieren, was ein touristisches Erlebnis ist oder nicht, sondern lediglich festzustellen, dass Ausflüge, Besuche und Aktivitäten sehr interessante Wachstumsraten aufweisen. Immer mehr Reisende richten ihre Tourismusausgaben auf diese Art von Dienstleistungen und nicht darauf, etwas konkret zu besitzen.
Im Jahr 2018 ergab eine von Skift durchgeführte Umfrage, dass 67 % der einkommensstarken Reisenden ihr Geld lieber für Aktivitäten und nicht für ein komfortableres Hotelzimmer ausgeben, was einer Steigerung von 8 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Die gleiche Umfrage ergab, dass 75 % der Reisenden während ihres Aufenthalts an mindestens einer organisierten Aktivität oder Exkursion teilnahmen. Der Trend wird voraussichtlich anhalten, nicht zuletzt auch deshalb, weil die grossen Anbieter wie Marriott, Airbnb, Booking.com und TripAdvisor massiv in die Entwicklung ihrer touristischen Erlebnisangebote investieren.
Es ist eine Tatsache, dass die Technologie im Bereich der touristischen Erfahrung neue Horizonte eröffnet. So ist sich der E-Tourismus-Experte sicher, dass der Reisende bald von einem umfangreichen Angebot an Immersionen in Virtual-Reality-Erfahrungen profitieren wird. Allerdings gibt es viel weniger Sicherheit, wenn es darum geht, die qualitativen Aspekte des Problems anzugehen. Mit anderen Worten ausgedrückt: Wie wird die virtuelle Realität unsere Beziehung zu der vorgeschlagenen Reise oder den vorgeschlagenen Erfahrungen verändern? Wird es dazu kommen, echte Erfahrungen zu ersetzen oder wird sie als Anreiz dienen, andere Dinge zu entdecken?
Die gleichen Fragen stellen sich bei den Daten und digitalen Spuren der Reisenden. Einige Menschen, die von der Verwendung von "Smart Data" überzeugt sind, sehen unbegrenzte Möglichkeiten, die Personalisierung bis ins Detail zu verfeinern und damit ein rundum gelungenes Erlebnis zu versprechen. Künstliche Intelligenz, vernetzte Objekte und Robotisierung werden unser Verhältnis zu touristischen Informationen sicher grundlegend verändern. Dennoch ist und sollte der Tourismus ein Wirtschaftszweig bleiben, in dem das Humankapital dominiert. Letztendlich ist es dem Menschen zu verdanken, dass die von unseren Smartphone-Anwendungen empfohlenen massgeschneiderten touristischen Dienstleistungen erfolgreich sein werden oder nicht.
Die Übertragung von Leidenschaft, Emotion, Kreativität und Reaktionsfähigkeit sind alles Werte der menschlichen Dienstleistung, auf welche die technologischen Lösungen nur sehr wenig Einfluss haben. Diese menschlichen Mehrwerte sind nach wie vor die Grundlage für die Motivation der Reisenden und sollten daher die Tourismusindustrie stets ermutigen, die richtige Verbindung zwischen Ansätzen von hohem technologischen Gehalt und solchen von hohem menschlichen Gehalt herzustellen.
Quellen:
https://skift.com/megatrends-2019/