Der Bewohner – Geschichte einer touristischen Rehabilitierung
Als Impulsgeber von touristischen Aktivitäten
Wenn der Bewohner als touristischer Führer agiert, beansprucht er die Legitimität eines Experten für sein Wohngebiet oder seine Stadt. Der Bewohner nimmt also eine Rolle als Impulsgeber ein. Zwar hindert ihn nichts daran, das historische Erbe zu präsentieren, das in den Geschichtsbüchern vermittelt wird, doch immer häufiger berichtet er auch von den Orten und Zeitabschnitten seines Alltags als Bewohner. Er stellt den Wert des Alltags in den Vordergrund, indem er die Bäckerei in der Nachbarschaft erwähnt oder über die jeweiligen Schulen Auskunft gibt. Auf diese Weise kämpft der Bewohner gegen das Verschwinden von Attraktionen, die er als strukturbestimmend für sein Wohnviertel ansieht.
Diese Vermittlung kommt nicht nur den Bewohnern in ihrem Kampf um mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung zugute. Die Aufwertung des alltäglichen Erbes ist auch für die lokale Tourismuswirtschaft förderlich, da das Angebot an Besichtigungsmöglichkeiten erweitert wird. Vor allem Besuche bei den Einwohnern sind eine Attraktion, da dies zu einem verlängerten Aufenthalt führen oder Besucher, die bereits das institutionelle Kulturerbe durchforstet haben, zum erneuten Besuch der Region bewegen kann. Die Einwohner werden also dadurch in vollem Umfang zu Akteuren der Tourismuswirtschaft, wobei erwähnt werden muss, dass kollaborative Plattformen wie Airbnb diesen Aufschwung erleichtert haben.
Während des ganzen Sommers geführte Touren durch den urbanen Street Art Parcours. Quelle: https://lasemainedansleboulonnais.nordlittoral.fr
Nachdem die gewählten Behördenvertreter verstanden haben, was man daraus lernen kann, nehmen sie die Ansichten der Einwohner zu Aspekten, welche die lokale Tourismuswirtschaft betreffen, immer mehr in ihre eigenen Anliegen und Vorhaben auf. Manchmal werden die Einwohner sogar an Entscheidungen beteiligt, die im Zusammenhang mit der Politik stehen. Dies hat den Vorteil, dass die Einwohner stolz darauf sein können, wenn sie sich bei der Wiederherstellung des Images einer Stadt oder eines Stadtteils miteinbezogen fühlen. Wenn die Orte überfrequentiert sind, wird die Akzeptanz der Touristenströme durch partizipative Verfahren gefördert. Auch wenn die Beschwerden der Bewohner nicht immer direkt auf die Touristen abzielen, so beschweren sich die meisten Anwohner doch über die Ausweitung von Terrassen, über nächtliche ruhestörende Aktivitäten und über steigende Preise für Wohnimmobilien.
Als Konsument von touristischen Aktivitäten
Der Bewohner kann sich auch auf die touristische Nachfrageseite stellen. Er wird dann die touristischen Produkte und Dienstleistungen seines Wohnorts konsumieren. In grossen Städten wie Paris, Madrid oder Wien kann dies natürlich durch den Besuch von Sonderausstellungen geschehen. Aber es kann auch die Form von Besuchen in noch unbekannten Stadtvierteln (z. B. Entdeckung der Strassenkunst im 13. Arrondissement von Paris), von Workshops (z. B. Herstellung von Macarons) oder von Aktivitäten im Freien (z. B. kommentiertes Joggen an den Ufern der Seine) annehmen. Der Pass Tarn baut auf dieser Idee des konsumfreudigen Einwohners auf und regt zur Wiederentdeckung an, indem er Einwohnern in Begleitung von zahlenden Gästen freien Eintritt gewährt.
Dieser Trend zur Überschneidung von Arbeits-, Wohn- und Urlaubsort hat sich mit der Covid Pandemie verfestigt. Die Pandemie hat nämlich der geografischen Hypermobilität ein jähes Ende gestzt: Hier wohnen, dort arbeiten und anderswo Urlaub machen. Die erzwungene Rückkehr zu einer Einheit von Ort und Leben verankerte eine alternative Funktionsweise zur Ubiquität.
Ein Beispiel dafür ist der Imagewandel des Ausflugswesens. Freizeitaktivitäten, die bisher als Ausflugsziele galten (z. B. Lehrpfade), gewinnen bei den Tourismusbüros zunehmend an Bedeutung. Einige Tourismusbüros wenden sich nun immer häufiger an die Einwohner und verzichten auf zu institutionelle Botschaften, was zur Folge hat, dass sich die Outdoor-Betreuung zu etablieren beginnt und die Mitarbeiter der Tourismusbüros zu Freizeitanbietern werden. Bei der Entscheidung, in Infrastrukturen oder Dienstleistungen zu investieren, wird darauf geachtet, dass die Erwartungen der Einwohner erfüllt werden. Einige Tourismusbüros richten sich sogar an Einwohnerkollektive wie z. B. an Vereine, deren Diskussionsrunden sie organisieren und die der breiten Öffentlichkeit zugänglich sind. Die Tourismuswirtschaft kann also mit Recht behaupten, dass sie zu einer dienstleistungsorientierten Stadt beiträgt, die ihre Bürger um Themen, welche im Zusammenhang mit dem Alltag stehen, vereint.
«Outdoor-Empfang: Der Sommer vor Ort – espace pro.»
Quelle: https://aubenasvals.com/accueil-hors-les-murs-lete-sur-le-terrain/