Handlungsbedarf wegen Arbeitskräftemangel im Gastgewerbe

Problematisches Anstellungsverhältnis infolge der Pandemie

Die Pandemie verschärfte ein bereits bestehendes Problem im Bereich der Beschäftigung von Angestellten und führte dazu, dass viele Mitarbeiter ihr Unternehmen verlassen mussten. Geringe Löhne, Überstunden, fehlende Anerkennung, arbeiten unter Druck, Saisonabhängigkeit: Nach einer erzwungenen oder selbst gewählten Auszeit haben sich mehrere Tausend Beschäftigte für ein endgültiges Ausscheiden aus dem Beruf entschieden. Viele von ihnen haben sich inzwischen umorientiert und sind daher nicht bereit, in ihre Unternehmen oder in ein anderes Unternehmen der Branche zurückzukehren.

 

Laut einer Umfrage der Personalvermittlungsagentur Coople haben fast zwei Drittel der Beschäftigten im Gastgewerbe nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes eine neue Stelle gefunden oder die Branche gewechselt. Auch der Rückgang der Zahl der ausländischen Arbeitnehmer in den letzten zwei Jahren belastet die Situation. Im Jahr 2019 wanderten 31’636 Ausländer in die Schweiz ein, um im Gastgewerbe zu arbeiten, im Jahr 2020 waren es noch 22’966.

Eine Studie von HotellerieSuisse über den Mangel an qualifiziertem Personal im Jahr 2021 zeigt, dass zwei Drittel der Hotels Schwierigkeiten haben, offene Stellen zu besetzen. Im Sektor der Restauration  bzw. in der Küche waren 3'324 und im Service 3'716 Stellen zu belegen. An der Hotelrezeption waren 283 und in der Reinigung sowie bei den Hilfsdiensten 681 Stellen zu vergeben.

 

Die aktuelle Situation ist umso besorgniserregender, als der Druck auf die verbleibenden Mitarbeiter immer grösser wird, da sich ihre Arbeitsbedingungen aufgrund des Personalmangels verschlechtert haben. Laut einer von Medallia im September 2021 durchgeführten Studie planten 38 % der Beschäftigten im Gastgewerbe, ihre Arbeit bis zum Ende des Jahres aufzugeben. Die Beschäftigten gaben vor allem die Verschlechterung der Lebensqualität am Arbeitsplatz seit der COVID-19 Pandemie als Grund an. 24 Prozent sagten, dass diese Bedingungen ihre Motivation negativ beeinflussen. 61 % der Mitarbeiter des Gastgewerbes gaben ausserdem an, «mehr für denselben Lohn arbeiten zu müssen».

Da es an Bewerbern mangelt, werden Berufsverbände und Unternehmen aktiv, um die Berufe im Gastgewerbe wieder attraktiv zu machen.

 

Quelle: Freepick

 

Die Lohnfrage auf dem Tisch

In Frankreich verlor das Gastgewerbe zwischen 2020 und 2021 fast 10 % seiner Mitarbeiter, d. h. 230’000 Personen. Mit dem Ziel, die Abwanderung zu stoppen, einigten sich Arbeitgeber und Gewerkschaften auf eine Lohnerhöhung von 16 % der aktuellen Tarifstruktur. Diese sollte im März 2022 wirksam werden.

In Deutschland wurde im neuen Tarifvertrag des rheinland-pfälzischen Hotel- und Gaststättenverbands eine Erhöhung der Löhne um bis zu 36 % beschlossen.

Dadurch werden Auswirkungen von 5 bis 20 Prozent auf die Rechnungen der Kunden erwartet.

In der Schweiz haben einige Unternehmen beschlossen, die Gehälter ihrer Angestellten zu erhöhen. Einige Arbeitgeber halten jedoch fest, dass sie die Gehaltsvorstellungen der Bewerber nicht erfüllen können.

Die Frage der Gehälter allein kann jedoch das Imagedefizit des Berufsstandes nicht beheben.

Die Schwierigkeit ein Gleichgewicht mit dem Privatleben zu finden, die mangelnde Wertschätzung durch Vorgesetzte und die Arbeitszeiten werden von den Mitarbeitern als die grössten Belastungen empfunden. Dies geht aus Informationen von Kununu.com hervor, einer Plattform, auf der Arbeitnehmer ihre Arbeitgeber bewerten. In den von den Arbeitnehmern hinterlassenen Kommentaren beschäftigt die Frage nach dem Gehalt weniger als die nach der Anerkennung.

 

Attraktivere Entwicklungschancen und Neugestaltung der Arbeitszeit

Die Unternehmen sind sich bewusst, dass sich die Berufe im Gastgewerbe manchmal nur schwer mit dem Privatleben vereinbaren lassen und zögern nicht, bezüglich Flexibilität zu investieren und die Strukturen zu ändern, um neue Talente anzuziehen.

 

Arbeitsbedingungen

In Australien will Accor sein Rekrutierungsprogramm revolutionieren. Die Accor-Betriebe in Australien und Neuseeland starten das Programm «Work Your Way» in der Hoffnung, die 1'200 offenen Stellen zu besetzen. Das Programm soll flexiblere Arbeitsbedingungen bieten. Es beinhaltet unter anderem:

  • Möglichkeit für den Bewerber, noch am Tag des Vorstellungsgesprächs mit der Arbeit zu beginnen, wenn sein Profil passt.
  • Individuelle Leistungen für die Beschäftigten. Dazu können Reisekostenzuschüsse, Geburtstagsurlaub und Sabbaticals gehören.
  • Das Reisen und Arbeiten in den verschiedenen Einrichtungen der Gruppe im gesamten pazifischen Raum zu erleichtern
  • Neue Möglichkeiten für die interne Karriereentwicklung anzubieten
  • Die Arbeitsplätze aufzulockern und eine neue Vielseitigkeit zu ermöglichen. Accor ist der Ansicht, dass jede Rolle – von der Reinigungskraft bis zum Management – flexibel sein sollte. Deshalb hat Accor eine neue Richtlinie eingeführt, um allen Mitarbeitern mehr Flexibilität zu garantieren.

 

Auch am Arbeitsrhythmus mangelt es dem Beruf. Um ihren Angestellten mehr Freizeit zu verschaffen, haben einige Betriebe in Frankreich die Arbeitsunterbrechung abgeschafft und setzen stattdessen Tagesarbeitszeiten ein, wodurch Mittags- oder Abendschichten entstehen. Andere haben beschlossen, an Wochenenden zu schliessen und sich neu zu organisieren, indem sie z. B. einen Cateringservice für das Hotel in Anspruch nehmen. Das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Restaurant «La Mare aux Oiseaux» entschied sich ebenfalls für eine Vorverlegung der Reservierungszeiten, um den Abendservice nicht in die Länge zu ziehen, damit sich seine Mitarbeiter erholen können.

 

Die Viertagewoche kann auch ein Unterscheidungsmerkmal für ein Unternehmen sein. Mehrere Unternehmen in Deutschland setzen diese bereits ein. Das Modell, das seit November 2021 in den 25 Hours-Betrieben in Hamburg getestet wird, soll bis Ende 2022 in allen Betrieben der Marke eingeführt werden, auch in den Betrieben in der Schweiz. In Deutschland werden Vollzeitbeschäftigte 36 statt 40 Stunden pro Woche bei gleichem Lohn arbeiten. Die restlichen vier Stunden werden in Form von Überstunden gearbeitet, wenn dies besonders notwendig ist.

Auch in der Schweiz testen einige Häuser dieses Modell aus, wie beispielsweise das «Park Hotel Winterthur».

Quelle: ©Freepick

 

Lebensraum

Andere investieren grosse Summen, um ihren (neuen) Bewerbern ein angenehmes Lebensumfeld bei der Arbeit zu bieten. In Gstaad, Scuol oder Lenk haben Hotelbesitzer mehrere tausend Franken für die Renovierung oder den Bau von Personalunterkünften ausgegeben. In St. Moritz investierte das «Kulm Hotel» 21 Millionen Franken in zwei Personalresidenzen. Die erste Residenz mit 74 Wohneinheiten wurde für die Wintersaison 2021/22 eröffnet.

 

In Österreich, in der Nähe von Kitzbühel, hat das 5-Sterne-Hotel «Stanglwirt» ein neues Wohnheim für seine Angestellten gebaut. Der Besitzer Balthasar Hauser hat für den Bau rund 20 Millionen Euro ausgegeben. Aus Holz gebaut, energieeffizient, mit Erdwärme versorgt, mit hochwertigen Materialien und Einrichtungen ausgestattet und mit Aussicht. Mit der Qualität der Unterkünfte wollte der Besitzer die hohe Wertschätzung unterstreichen, die er für seine Mitarbeiter hat.

 

Die monatliche Miete für die Mitarbeiter beträgt 200 Euro inklusive Nebenkosten. Neben der günstigen Miete erhalten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kostenlose Vollpension im Personalrestaurant und eine kostenlose monatliche Reinigung der Wohnung, ausserdem Rabatte in Geschäften des Unternehmens, Kinderbetreuung auf dem hoteleigenen Bauernhof und die Übernahme von 50 % der Mitgliedsbeiträge für lokale Vereine. Neben anderen Vorteilen stellt das Hotel seinen Mitarbeitern drei bezahlte Tage pro Jahr für wohltätige Aktionen zur Verfügung.

Quelle: www.stanglwirt.com

 

« Unsere Mitarbeiter müssen sich rundum wohlfühlen, daher spielt die Unterkunft eine wichtige Rolle».

Balthasar Hauser, Besitzer des Hotels Stanglwirt.

 

 

CSR-Engagement als Unterscheidungsmerkmal?

Junge Talente legen besonderen Wert auf die sozialen und ökologischen Verpflichtungen, die Unternehmen eingegangen sind. Sie streben nun danach, sich einem Unternehmen anzuschliessen, das eine Reihe von solidarischen, ethischen und ökologischen Werten vertritt. Sie möchten ganz an den positiven Veränderungen der Gesellschaft teilhaben und sich nützlich fühlen. Sandra Heim, Spezialistin für Organisationsentwicklung bei HotellerieSuisse, sagte Tourobs im Rahmen des «Berichts über nachhaltigen Tourismus», dass das Ibex Fairstay-Umweltsiegel einigen Betrieben bei der Einstellung von Mitarbeitern geholfen habe. «Das Nachhaltigkeitslabel zeugte von bestimmten Werten des Betriebes, die die Bewerber motivierten, sich zu bewerben».

 

Aufwertung der Berufe im Hotel- und Gaststättengewerbe durch Ausbildung

Die Ausbildung von Lehrlingen und Personal ist für das Gastgewerbe von entscheidender Bedeutung. Die Sozialpartner des Gastgewerbes verlängern die nationale Ausbildungsoffensive mit kostenlosen Aus- und Weiterbildungsangeboten bis Ende 2022.

Im Kanton Luzern haben die Dachverbände Gastro Luzern und Luzern Hotels (gastrojetz.ch) ein kostenloses Kursprogramm für Personen lanciert, die sich neu orientieren wollen oder wieder in den Arbeitsmarkt einzutreten beabsichtigen.

 

Technologische Lösungen zur Behebung des Mangels an Arbeitskräften

Digitaler Empfang, Check-in-Terminal, App für die Personaleinteilung, Kellnerroboter etc. In der Zwischenzeit entstehen technologische Lösungen, um die anhaltenden Auswirkungen der Pandemie einzudämmen, d. h. mit weniger Personal arbeiten zu können, wie der Artikel von Loréa Goudour vom «Réseau de veille en tourisme» zeigt «Pénurie de main-d’œuvre : en mode solutions technologiques ».

 

Bildquelle :©Freepick

Quellen:

Clotilde briard et christophe palierse. « Pénurie de main d'œuvre : les solutions des restaurateurs », les Echos Entrepreneurs, 18 novembre 2021

Emilie Vignon. « Hôtellerie-restauration : une augmentation de 16,33% sur la table », L’echotouristique, 17 décembre 2021

Fabrice Dubault. « Covid. L'hôtellerie-restauration augmente ses bas salaires pour lutter contre l'hémorragie de main-d'œuvre », France 3 Occitanie, 20 janvier 2022

Hospitalitynet.org. “Accor’s ‘Work Your Way’ program revolutionises recruitment in the tourism sector”, 3 novembre 2021

Htr. « Former gratuitement jusqu’à fin 2022 », 11 octobre 2021.

Htr. « Luzerner Wirte bieten Gratiskurse für Quereinsteigende an », 31 janvier 2022

Loréa Goudour. « Pénurie de main-d’œuvre : en mode solutions technologiques », Réseau de veille en tourisme, 1 mars 2022

 

Lucie Machac. « Die 4-Tage-Woche macht Schule », htr.ch, 8 novembre 2021

Mediallia Zingle. « L'impact de l'expérience employé dans l'hôtellerie. Analyse des enjeux majeurs qui touchent aujourd'hui les entreprises et leurs équipes », 2021.

 

Mischa Stünzi. « Nun steigen die Löhne – und dann die Preise », htr.ch, 15 février 2022

Mischa Stünzi. « Es mangelt nicht nur an Fachkräften», htr.ch, 1 février 2022

Natalia Godglück. “Millionen für die Mitarbeitenden”, htr.ch, 10 mars 2022