Ungewöhnliches immersives Erlebnis: Wenn der Wein seine eigene Musik macht.
Interview mit Alexandre Roduit, Direktor von Fully Tourismus
Fully Tourismus hat kürzlich Musik-Oenologen beauftragt, eine klangliche Identität für den Petite Arvine zu schaffen. Dieser verkannte Beruf besteht darin, ein Gebiet und einen Wein auf sehr wissenschaftliche Weise zu analysieren um daraus eine einzigartige musikalische Komposition zu schaffen. Das musikalische Stück wird während der Weindegustation abgespielt und ermöglicht dadurch, den Kund*innen neue Emotionen spüren und den Wein auf eine Neue Art kennen und schätzen zu lernen. Das ist eine Premiere in der Schweiz, die die Tür für einen neuen Ansatz im Weintourismusangebot und warum nicht sogar im Destinationsmarketing öffnet. Der Ansatz von Alexandre Roduit, Direktor von Fully Tourisme, hat unsere Neugier geweckt, und wir haben ihn getroffen.
©Canva-AI Magic Studio
Was war die Vorgeschichte dieses Projekts? Wie sind Sie an dieses Vorhaben herangegangen?
" Ein bisschen durch Zufall. Ich habe eine Freundin, die Musik-Oenologin in Lyon ist, und sie hat mir erklärt, was sie dabei macht. Ich setzte mich danach mit der französischen Agentur ATS Studio in Verbindung, die ihren Sitz in Lyon hat und das Konzept seit 2020 entwickelt. Die Agentur hatte bereits mit Schlössern in Frankreich zusammengearbeitet, die Musik für ihr Anwesen anforderten. Normalerweise war das eher mit einem Haus als mit einem Produkt verbunden. Es war das erste Mal, dass sie es für eine Rebsorte gemacht haben".
Wie kommt man dazu, Musik für einen Wein zu kreieren?
"Das Besondere an unserem Vorgehen mit dem Petite Arvine ist, dass es sich um einen wissenschaftlichen Ansatz handelt. Das ist auch das, was mir gefallen hat. Man nimmt die Lichtfrequenzen des Weins, der Farbe usw. Ein Algorithmus überträgt iese dann in Tonfrequenzen, die den Klangfarben von Musikinstrumenten entsprechen.
Es gibt denselben wissenschaftlichen Ansatz in Bezug auf die Beschaffenheit des Bodens. Es gibt ein ganzes Repertoire an Böden, auf denen Wein angebaut werden kann. Und je nach Boden ergibt das den Rhythmus.
Und dann gibt es danach auch noch Kriterien, die zwischen Komponisten und Önologen entwickelt wurden.
Alle diese verschiedenen Elemente tragen dazu bei, dass eine einzigartige Musik entsteht".
Wein und Musik - das ist überraschend. Oft findet die Weindegustation in Stille statt.
"Man kann es an den Weintourismus-Trends beobachten: die Verbindung von Musik und Wein funktioniert immer mehr. Wir haben Beispiele in der Schweiz. In Morges gibt es einen Weinkeller, der eine Playlist entwickelt hat, die man sich beim Weingenuss anhören kann. Leute bringen auf ihren Etiketten QR-Codes mit Musik an, die man sich anhören kann. Außerdem bieten Weinkellereien hier im Tal Veranstaltungen an, bei denen man beim Verkosten Musik hört. Es wird viel über das "Kundenerlebnis" und seine Bedeutung gesprochen. Wenn man Musik und Wein miteinander verbindet, entsteht eine neue Erfahrung, eine neue Art der Degustation. Wir haben einen Winzer, der dies als "orientalische Weinprobe" präsentiert, d. h. man berücksichtigt die gesamte Umgebung und nicht nur das reine Produkt, wie es im Westen meist der Fall ist. Das ist etwas Neues. Bisher ist es so, dass bei der Degustation eines Weins (und das ist bei Wettbewerben immer noch der Fall) Ruhe herrschen muss. Aber auch die Umgebung trägt dazu bei, ob man den Wein genießt oder nicht. Schließlich besteht die Philosophie unseres Vorgehens darin, die Menschen dazu zu bringen, den Petite Arvine und seine Geschichte zu verstehen. Das ist auch das, was die Menschen heute beim Weintrinken suchen. Es ist nicht nur Marketing, sondern es steckt etwas Konkreteres dahinter. Das hat mich angesprochen".
Wie kam es zum Zusammentreffen dieser beiden Welten (Musiktechniker und Weintechniker)?
"Die Firma ATS ist hier mehrmals in den Weinberg gekommen, hat Weinkellerer und Winzer getroffen und mehrere Petite Arvine probiert - weil sie sehr unterschiedlich sein können, auch wenn es immer etwas gibt, das sie verbindet.
Sie machten sich ein Bild von der Beschaffenheit des Bodens, des Hangs und der Sonneneinstrahlung. Es ist ein Terroir, in dem es Feigen, Kakteen, auch Kastanienbäume usw. gibt. Es sind viele kleine Komponenten, die die Komponisten angesprochen haben.
Die Winzer hatten anfangs grosse Zweifel. Denn die meisten von ihnen haben die Idee, in Ruhe zu verkosten. Man konzentriert sich auf den Geschmacks- und Geruchssinn, aber man fügt keinen zusätzlichen Sinn hinzu. Davon mussten wir sie also überzeugen. Als wir uns schließlich mit den Winzern unterhielten, die das Experiment gemacht hatten, erkannten fast alle ihren Wein in dieser Musik wieder. Das war ziemlich schön, denn manche waren anfangs nicht überzeugt, und dann sagten sie mir später: "Ich habe das Gefühl, in meinem Weinberg zu sein. Ich möchte meinen Trauben diese Musik vor dem Schneiden vorspielen, damit sie sehen, was aus ihnen wird". Das ist nett, finde ich".
Ist es dann ein schöner Erfolg?
"Ja, ich finde, das bedeutet, dass es ein Erfolg ist. Denn das ist wirklich das Terroir, das wir mit solcher Musik hervorheben wollten. Und wenn sie sich in ihrem Arbeitsumfeld sehen, dass es ihrem Leben entspricht. Dann finde ich, dass der Ansatz richtig ist".
Haben Sie diese Erfahrung Kund*innen vorgestellt? Wie haben sie darauf reagiert?
"Ja, wir haben die Erfahrung Kunden im Rahmen von Abendveranstaltungen für den Club Vinum Montis vorgeführt. Die Abende füllten sich sehr schnell. Normalerweise machen wir zwei Abende. Hier haben wir drei gemacht. Die Leute haben sich sehr schnell angemeldet, es gab ein grosses Interesse. Einigen Leuten hat es mehr gefallen als anderen, wie das bei allen Erfahrungen so ist. Aber auf jeden Fall waren die Leute trotzdem berührt.
Sicherlich muss man die Leute in den Prozess einbeziehen und ihnen erklären, wie und warum wir das gemacht haben. Es ist wie ein "fünfter Sinn", der berührt wird: der fünfte Sinn des Weins. Also muss man die Leute einladen, sich auf diesen neuen Sinn zu konzentrieren. Und dann passiert in der Regel etwas".
Wie wird diese Musik heute eingesetzt?
"Eigentlich gibt es sehr präzise Instrumente, die wissenschaftlich vom Algorithmus ausgewählt wurden, verbunden mit der Farbe des Weins, seines Körpers, etc. Wenn man also ein perfektes Erlebnis haben möchte, muss man diese Musik respektieren, mit den richtigen Instrumenten, indem man das Experiment während einer Weindegustation durchführt. Deshalb bieten wir dieses Erlebnis auf Anfrage an, für Gruppen, die es wünschen. Auch Selbstweinkellerer sind bereit, es anzubieten. Es gibt ein Maison de la Petite Arvine, das gerade in Fully gegründet wird. Dort wird es höchstwahrscheinlich einen Raum geben - wo und wie ist noch zu definieren -, in dem man La Petite Arvine hören und verkosten kann.
Wir denken auch an einen QR-Code oder einen Download-Link, um die Leute einzuladen, das Experiment zu Hause zu machen. Ich finde aber, dass es einer Einführung bedarf, damit es geschätzt wird. Es ist auch ein Werkzeug, um über Wein zu sprechen. Es ist keine Erfahrung, die für sich allein stehen bleibt - es ist ein Tor zur Weindegustation und zur Interpretation von Wein. Und es hat meiner Meinung nach mehr Interesse, wenn es begleitet wird".
Gibt es diese "Wissenschaft" auch für andere Produkte, Landschaftselemente usw.?
"Technisch gesehen ja, man könnte das mit jedem Rohprodukt machen, weil man von der Farbe ausgeht. Es ist die Farbe, die wir dank der Frequenzen von Lichtwellen wahrnehmen, die an den Computer weitergeleitet wird, der sie wiederum in Tonfrequenzen umwandelt. Aber Vorsicht: Es handelt sich um Rohmaterial. Also muss der Komponist, der aus diesem Rohmaterial etwas komponiert, eine Geschichte schreiben können. Wein eignet sich dafür gut, weil es eben eine Geschichte gibt, eine Emotion, es gibt die Gerüche usw., die dem Komponisten jede Menge Material bietet. Es gibt Ähnlichkeiten zwischen Wein und Musik: eine technische Grundlage und persönliche Eigenheiten. Aber um zum Schluss zu kommen: Ja, theoretisch ist es machbar: Man könnte aus Honig, Aprikosensaft usw. einen Klang erzeugen, da es eine Farbe gibt. Man muss wissen, dass auch Pflanzen Schall produzieren, und zwar aus Schwingungen. Man kann den Klang auffangen und daraus Musik machen. In Frankreich gibt es sogar ein Festival für Pflanzenmusik!
Könnte diese Musik auch anders weiterleben und in einem anderen Kontext verwendet werden (Marketingkampagne, Events etc.)?
"Da es sich um ein identitätsstiftendes Stück aus der Region handelt, haben wir darum gebeten, es anders nutzen zu können. Wir haben um eine Partitur gebeten, damit es von den Blaskapellen von Fully gespielt werden kann. Es werden allerdings nicht die gleichen Instrumente sein. Und ich habe auch eine Partitur für das Klavier erhalten. Wir können uns also eine Veranstaltung vorstellen, bei der der Wein um einen Flügel herum verkostet wird. Auch hier werden nicht alle Instrumente gleich sein, um die Harmonie des Projekts zu wahren. Aber es geht auch darum, dass das Projekt lebt.
Wir haben auch einen Teil des Songs als Hintergrund für ein Werbevideo verwendet"
Ist eine Fortsetzung dieses Projekts geplant? Ist zum Beispiel geplant, dieses Vorgehen auf andere Rebsorten zu übertragen?
"Wir haben das im Moment nicht geplant, aber wir könnten es mit einer Basis machen, die wahrscheinlich ein bisschen ähnlich wäre, weil die Umgebung die gleiche ist. Die Instrumente hingegen wären anders, weil es nicht die gleichen Weinfarben sind. Nach Aussagen von Musikwissenschaftlern müsste man, wenn man aus wissenschaftlicher Sicht sehr genau sein will, einen Wein für ein bestimmtes Jahr vertonen, weil sich von einem Jahr zum anderen die Farbe ändert. Der Wein verändert sich.
Danach wäre es lustig, sich eine Symphonie für die Walliser Weine vorzustellen. Das wäre ein schönes Projekt, finde ich".
Haben Sie weitere Lernerfahrungen gemacht?
"Das Projekt war für das gesamte Team sehr verbindend. Es gab bereits viel Vertrauen seitens der Entwicklungsgesellschaft. Dann fühlte sich auch das Office-Team involviert und motiviert. Wir sind sogar in die ATS-Studios gegangen, um die Verkostungserfahrung mit Musik zu machen. Dies führte zu schönen Momenten und Emotionen für unser Team. Es ist auch einfacher, diese Erfahrung zu verstehen, um sie weiterzuempfehlen."