Schweiz - Ökotourismus und Naturtourismus weitgehend unterschätzt und unterbewertet
tourisme durableVerpasst die Schweiz einen der wichtigsten globalen Trends der Gegenwart?
Das Potenzial des Naturtourismus oder «Ökotourismus» in der Schweiz wird weitgehend unterschätzt und sein Potenzial unzureichend untersucht. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Jürg Schmid, dem ehemaligen Direktor von Schweiz Tourismus. Die vom Bundesamt für Umwelt in Auftrag gegebene Studie regt zum Nachdenken an und stellt eine Reihe von Vorurteilen in Frage. Sie entwickelt die folgenden sieben Thesen:
- Natur und Landschaft sind die Hauptgründe für die Wahl der Reisedestination Schweiz.
- Der Mythos, dass mit Landschaft kein Geld zu verdienen ist, hält sich hartnäckig und ist falsch.
- Der Schweizer Tourismus versteht die Reisemotive und Bedürfnisse der Eco-Travellers ungenügend und riskiert es, einen der grossen globalen Tourismustrends zu verpassen.
- Der Ökotourismus ignoriert den Premium Reisemarkt.
- Parks und geschützte Landschaften sind überdurchschnittlich attraktiv, aber touristisch unterdurchschnittlich vernetzt und kommuniziert.
- Die Dominanz der Bergbahnen im Wintertourismus führt zur ungenügenden Erschliessung der Wachstumspotenziale im naturaffinen Non-Skier-Markt.
- Die Akteure der Landschaft haben ein schlechtes Image im Tourismus und umgekehrt.
Anziehung wohlhabender Besucher für den Ökotourismus
Die Thesen 3 und 4 sind besonders besorgniserregend: Der Schweizer Tourismus kennt die Reisemotive und Bedürfnisse der Ökotouristen nicht ausreichend und läuft Gefahr, einen der wichtigsten Trends im globalen Tourismus zu verpassen. Zudem vernachlässigt der Schweizer Ökotourismus den Premium-Markt. Der Glaube, dass Ökotourismus nur etwas für Leute mit kleinem Budget und geringen Ausgaben ist, hält sich hartnäckig, ist aber falsch. Tatsächlich sind ferne Reiseziele wie Costa Rica und Namibia, um nur zwei zu nennen, seit langem ein Sinnbild für hochwertigen Ökotourismus.
In der Schweiz werden die Ökotouristen immer zahlreicher und wichtiger. Dieses Wachstum ist vor allem auf die jüngere Generation zurückzuführen, insbesondere auf die «Millennials». Doch der Ökotourismus ist nicht mehr auf diese junge Generation beschränkt. Jetzt engagieren sich auch die 46- bis 55-Jährigen – mit höherer Kaufkraft – für eine nachhaltige Entwicklung. Es mangelt jedoch an Informationen und die Daten sind manchmal widersprüchlich. Heisst das: Sanfter Tourismus = langweiliger Tourismus? Offenbar nicht, denn der Anteil der Ökotouristen, die sich eine schöne Unterkunft leisten, ist im Vergleich sogar etwas höher. Während 46.8 % aller in der grössten Umfrage von Schweiz Tourismus befragten Gäste 4- oder 5-Sterne-Hotels frequentieren, suchen 50.7 % aller Ökotouristen eine Unterkunft der gehobenen Kategorie.
Die wichtige Botschaft: Es muss gelingen, wohlhabende Besucher für den Ökotourismus zu gewinnen. Der Markt ist ungenutzt und es fehlt an kreativen Angeboten. Hier sind zwei inspirierende Beispiele von hier und ausserhalb:
The Dome – luxuriöses Camp Feeling oberhalb von Verbier: Die Landschaft ist die Bühne, die Trennung von der Zivilisation die Essenz. Die luxuriösen Zelte mit 5- Sterne Komfort können ohne Infrastruktur aufgebaut werden und hinterlassen keine Spuren. Eine Erlebnisnachfrage in und mit der Natur, welche laut Organisator stark anwächst. amazingescapes.ch/the-dome
Quelle: The Dome
Island-Pledge als gemeinsame Verpflichtung für einen schonenden Tourismus: Verbote, Restriktionen und Warnschilder haben einen negativen Charakter. Island als eine der teuersten Reisedestinationen weltweit geht den Weg der Selbstverantwortung und hat eine Charta entwickelt, welche als gemeinsame «Verhaltensverpflichtung» gegenüber der Natur durch die Gäste eingegangen wird. Die Teilnahme ist freiwillig, durch die attraktive Kommunikation erhält der «Icelandic Pledge» jedoch viel Beachtung. visiticeland.com/pledge
Quelle: Visit Iceland
Einfacher und direkter Zugang zu nachhaltigen Erfahrungen
Angebote, die einen einfachen und direkten Zugang zu nachhaltigen Erfahrungen ermöglichen, stellen eindeutig einen wachsenden Tourismusmarkt dar. Sind sie in ausreichender Menge und Qualität vorhanden?
Tourismus- und Landschaftsexperten sind sich einig: Es gibt zu wenig Angebote und oft zu wenig gute Angebote, die leicht zugänglich, direkt buchbar und lehrreich sind. Nur 62 % der Fachleute ermöglichen es den Touristen, auf ihren Websites aus einer grossen Anzahl von Angeboten (z. B. geführte Ausflüge) im Zusammenhang mit Natur und Landschaft zu wählen. Das Erlebnispotenzial geschützter Landschaften scheint nicht ausreichend genutzt zu werden. Der Kenntnisstand ist alles andere als optimal.
Es besteht ein Bedarf an geführten Touren zur Entdeckung der biologischen Vielfalt, der Tierwelt und der Natur, die in sehr kleinen Gruppen oder auf Familienebene angeboten werden. Die politische Debatte um den Wolf bringe keinen touristischen Mehrwert: «Das Pirschen durch den Wald in Begleitung eines Wolfsexperten bringt jedoch Spannung, schafft Erlebnisse und hat hohe Zahlungsbereitschaft», so die Autoren der Studie.
Hier sind zwei inspirierende Beispiele von hier und ausserhalb.
Angebotsvielfalt im Naturpark Pfyn-Finges: Die Angebote zielen auf ein breites Publikum ab, um den Gästen die Landschaft mit der Artenvielfalt des Naturparks näherzubringen. Beispiel: Geführte Tour zum Thema «Bartgeier, Gämse und Co.» mit organisiertem Ablauf, einfacher Buchungsmöglichkeit und regelmässiger Durchführung. pfyn-finges.ch
Quelle: Pfyn-Finges
Sensibilisierung durch die Wolfstour im Val Müstair in Graubünden: Die Gäste gehen auf den Spuren der Grossraubtiere und lernen Spannendes über Wolf, Bär und Luchs. Das Angebot wird als Exkursion kommuniziert, unterstützt das Anliegen der Artenvielfalt auf eine faszinierende und spannende Weise und bietet zudem zeitgemässe Online-Buchungsmöglichkeit. val-muestair.engadin.com
Quelle: val-muestair.engadin.com
Referenz
Schmid, Pelli & Partner (2021). Chance Landschaft. Eine touristische Potenzialbetrachtung, Bundesamt für Umwelt, 32 p.
Titel Foto: © Valais/Wallis Promotion