Overtourismus von Naturstandorten im Wallis?

nachhaltiger Tourismus

Interview mit François Biollaz, Biologe Zentralwallis Natur & Landschaft

Was haben Sie für eine Aufgabe in Ihrer Abteilung?

«Ich bin für die Erhaltung und das Management der natürlichen Lebensräume und Arten im Zentralwallis zuständig. Unsere Abteilung kümmert sich insbesondere um die Schutzgebiete und die Einhaltung der unter Schutz gestellten Biotope. Alles, was die «grosse Fauna» betrifft wie Vögel, Wölfe und Arten, die nach dem Jagdgesetz jagdbar oder geschützt sind, fällt hingegen in den Zuständigkeitsbereich der Dienststelle für Jagd, Fischerei und Wildtiere.»

Es wird viel über die Probleme der «Überfrequentierung» von Naturgebieten gesprochen. Wie sieht es im Wallis aus?

«Tatsächlich ist seit Beginn der COVID-19-Krise die Zahl der Besucher an einigen Orten stark angestiegen. Diese Krise hat jedoch nur ein Phänomen verstärkt, das bereits seit gut zehn Jahren im Gange ist. Meistens sind es die Natur und die landschaftlich schönsten, aber auch die am leichtesten zugänglichen Orte, die eine grosse Anzahl von Besuchern anziehen. Nun sind die schönsten Naturgebiete oftmals geschützte Gebiete, was zu Problemen führen kann. Der Fall des Lac de Derborence in der Gemeinde Conthey ist emblematisch. Der Ort ist mit dem Auto über eine Strasse zu erreichen, die in einer Sackgasse endet. Der massive Zustrom von Besuchern ist seit über einem Jahrzehnt gewachsen und wurde noch ausgeprägter während des COVID.  

Unser Dienst hat Schäden an empfindlichen Biotopen festgestellt, weil Wanderer, die um den See spazieren gehen, ausserhalb der dafür vorgesehenen Wege an den See treten, wild campen, Feuer machen, parken oder Müll liegen lassen. Allen war klar, dass etwas getan werden musste. Seit 2018 haben sich die Chalet Besitzer, die kommunalen und kantonalen Behörden und die Umwelt-NGOs an einen Tisch gesetzt, um Lösungen zu finden. Es war kompliziert Ordnung zu schaffen, und man muss behutsam vorgehen, denn die Einheimischen haben ihre Gewohnheiten und die Besucher sind sich nicht immer bewusst, welche Schäden sie durch ihr Verhalten verursachen können. Es wurden auch andere Massnahmen diskutiert, die bereits umgesetzt wurden oder sich in der Umsetzungsphase befinden: Mehr öffentliche Verkehrsmittel, Neudefinition von Schutzzonen und Parkplätzen, mehr und bessere Informationen über den Ort, Wiederbelebung von heruntergekommenen Gebieten usw.»

Aber was haben Sie dann konkret getan?

«Die erste Massnahme wurde 2019 ergriffen: Es wurde eine Gebietsbetreuerin ernannt, deren Aufgabe es ist, den Standort zu überwachen. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Besucher über die natürlichen und landschaftlichen Werte zu informieren und die Regeln zu erklären, die an diesem sensiblen Ort einzuhalten sind – Umweltbildung vor Ort sozusagen. Das erste Jahr war kompliziert, aber es wurden Anpassungen vorgenommen und die meisten Besucher und Einheimischen wissen es zu schätzen, dass nun eine Person für Überwachungsaufgaben anwesend ist.»

Wer finanziert diese Gebietsbetreuer?

«Gebietsbetreuer gibt es bereits im Wallis und die Finanzierung hängt von der Art des Gebiets, den Bedürfnissen und dem Pflichtenheft ab. In der Regel werden sie von den Gemeinden, einem Gemeindeverband oder einem Naturpark angestellt. Diese Stellen werden vom Kanton über unsere Dienststelle subventioniert. Diese Wächter werden vom Bezirkspräfekten vereidigt, was ihnen die Befugnis verleiht, Ordnungsbussen zu verhängen. Dieses Mittel wird jedoch kaum genutzt, ausser bei wiederholten Verstössen oder grossen Sachbeschädigungen. In diesem Fall sind die Standortwächter unnachgiebig! In den meisten Fällen geht aber alles gut. Die Gebietsbetreuer sind eher dazu da, um zu kommunizieren, Informationen über die Regeln und die Ordnung zu geben. Eine Rolle als Naturpolizei. Ich denke, diese Funktion des Gebietsbetreuers wird sich in Zukunft weiterentwickeln, da andere Naturgebiete mit ähnlichen Problemen wie in Derborence zu kämpfen haben.»

Ein weiteres Beispiel?

«Ja, das Val de Réchy, das einen hohen Schutzgrad geniesst, denn das Gebiet ist im Inventar der Moorlandschaften von nationaler Bedeutung aufgeführt und befindet sich in einer kantonalen Schutzverfügung, die genaue Regeln festlegt. Dieses «Tal» liegt auf 3'000 Metern und ist nicht leicht zugänglich, was die Belastung durch Besucher verringert. Das Problem hier sind hingegen die Mountainbiker. Der Kanton Wallis hat nämlich das Mountainbiken in zwei aussergewöhnlichen Naturgebieten verboten, dem Aletschgebiet im Oberwallis und dem Val de Réchy im Mittelwallis. Dieses Verbot scheint bei den Ausübenden dieser Sportart nicht oder nur wenig bekannt zu sein, trotz der Kommunikations- und Informationsbemühungen des Kantons und der interkommunalen Kommission des Vallon de Réchy. Hier ist es schwieriger, etwas zu unternehmen. Ich musste beispielsweise die Verwalter der STRAVA-Anwendung kontaktieren, um sie zu bitten, auf dieses Verbot hinzuweisen, aber abgesehen von einem geringen Prozentsatz an Mountainbikern, die die Verbotsschilder nicht sehen «wollen», gibt es so viele Internetseiten und partizipative Anwendungen, die bestimmte Strecken hervorheben, dass es schwierig ist, alles zu kontrollieren.

Derzeit wurden die Tourismusbüros der Region sensibilisiert, um gute Informationen zu bringen und diese Verbote weiterzugeben. Dies sollte für alle geschützten Gebiete geschehen.»

Das Schlusswort?

«Alle Besucher von Gebieten, die aus Sicht von Natur und Landschaft aussergewöhnlich sind, profitieren von unserer Naturschutzarbeit, denn geschützte Gebiete sind oft die schönsten und üben daher eine grosse Anziehungskraft aus. Einige sehr sensible Gebiete, wie z. B. Sümpfe, müssen jedoch für die Öffentlichkeit geschlossen bleiben, was uns jedoch nicht daran hindert, einen Besucherweg am Rand anzulegen und kleine Biotope, "Gouilles", wie man bei uns sagt, zu schaffen, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Es ist sehr wichtig, dass jedermann Zugang zu diesen Orten hat, denn man schützt nur das gut, was man kennt, aber man muss das richtige Gleichgewicht finden.»

Titelfoto: Lac de Derborence, © François Biollaz